
Ob dieses Zitat genauso von Kant gesagt wurde, ist nicht gesichert, aber es könnte die Maxime für den Liberalismus sein, der u.a. mit Kant aus der Aufklärung resultiert.
Viele Menschen bezeichnen sich als liberal, aber was ist unter Liberalismus zu verstehen? Bei der Frage, was man für ein gutes Leben hält, spielt "frei sein" eine große Rolle- und möglichst frei von staatlicher Einmischung. Was bedeutet liberale Demokratie? In diesem Text wird nicht alles erklärt werden können, denn die Begriffe sind unscharf. Doch werden interessante Aspekte hervorgehoben und Denkanstöße für jede/n interessierte/n Leser/in gegeben.
Elif Özmen und einige andere Philosophen bezeichnen die liberale Demokratie als die schlechteste Regierungsform- abgesehen von allen anderen. Es sei sicher nicht der „Stein der Weisen“, aber es gäbe bis jetzt keine besseren Alternativen. Laut Özmen ist jede politische Ordnung behaftet mit Mängeln, weil sie immer wieder durch neue Probleme herausgefordert wird. Die Geschichte habe aber gezeigt, dass der Liberalismus am erfolgreichsten sei, sich diesen neuen Herausforderungen zu stellen: durch feste Grundsätze, große Ergebnisoffenheit und Korrekturfähigkeit (aus einem Podcast des Philosophischen Radios zum Thema Liberalismus).
Im Liberalismus zeigen sich Konflikte zwischen Ost und West
Feind- und Zerrbilder werden im Liberalismus deutlich: Einerseits die Angst vor einem allzu freizügigen Verhalten. Andererseits die Angst vor Unterdrückung und autoritären Systemen. Kritik ergeht an die Regierungsform und Lebensform, den Individualismus über alles zu stellen bzw. als individuelles Recht zu beanspruchen, zu leben wie man möchte.
Doch individuelle Rechte markieren die Grenzen von kollektiven Ansprüchen und staatlichen Eingriffen. Der Liberalismus bleibt dabei, dass es Grenzen der politischen und demokratischen Macht gibt. Es gibt Dinge, die uns kein Staat und keine Regierung antun darf, gleichgültig zu welchem Zweck, auch nicht für höhere Zwecke oder Notstand. Das ist eine Sichtweise, die Autokratien oder Diktaturen nicht gefallen kann.
Um die Sensibilität dieses Themas im eigenen Land zu vergegenwärtigen, brauchen wir uns nur an die Corona-Maßnahmen und die Impfflicht zu erinnern: Für die einen mischt sich der Staat viel zu wenig ein, für die anderen viel zu viel. Und sicher wäre ein Vergleich interessant, wie andere Länder damit umgegangen sind.
Tolerant bis an die Schmerzgrenze?
Liberal sein bedeutet sicher, jemanden erstmal tolerant zu begegnen. Das Zitat oben bedeutet in etwa: Ich kann mein Leben gestalten, wie ich möchte, solange ich die Freiheit von anderen nicht einschränke. Es bedeutet aber auch, dass ich es aushalten muss, wenn andere sich nicht liberal verhalten bzw. sich so verhalten, wie ich es selbst nicht vertragen kann. Jede/r wird Beispiele aus dem eigenen Leben kennen. Politisch brauchen wir nur an Klimaleugner, Querdenker, Populisten usw. zu denken, um sich dieses Spannungsfeld vor Augen zu führen.
Fakt ist, dass auch liberale Einstellungen von den Werten der jeweiligen Gesellschaft geprägt sind und dass ein freiheitlicher Staat Tugenden niemals erzwingen kann. Heute habe ich einen neuen pädagogischen Begriff für einen Erziehungsstil kennengelernt: autoritativ. Das entspricht vielleicht (das ist nur meine erste, persönliche Einschätzung) am ehesten den Maßstäben einer liberalen Erziehung. Man kann feststellen, dass die sogenannte "Laissez-faire" Erziehung und die autoritäre Erziehung Kindern am meisten schaden. In der autoritativen Erziehung darf sich das Kind möglichst frei entfalten und entscheiden in einem altersgemäßen Rahmen und gemäß einiger, abgesprochener Regeln. Würde ich sagen, dass ich mein Kind liberal erziehe, könnte sich kaum jemand darunter richtig etwas vorstellen, oder?
Das Recht der Generationen auf Freiheit
Als außerordentliches Ergebnis der liberalen Grundidee steht das Recht der Generationen auf Freiheit, das in der Folge des Klimaschutzgesetzes 20/21 im Grundgesetz festgehalten wurde. Durch Entscheidungen, die Regierungen heute treffen, dürfen zukünftige Generationen nicht verletzt oder in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. Das ist eine sehr bedeutende, gesetzliche Errungenschaft. Elterngenerationen und Regierungen dürfen auch nicht tun, was sie wollen. Sie müssen die Umwelt so schützen, dass auch nachkommende Generationen ein gut leben können. Die Regierungen sollten nicht über Klimaziele reden, wenn sie nicht auch nachweisen können, wie sie dies realistisch umzusetzen gedenken.
Zum Schluss ein wenig Historie …
Die Geschichte des Liberalismus ist eine Ideengeschichte politischer Theoriebildung ab dem frühen 17. Jahrhundert. Hauptvertreter sind John Locke, Adam Smith, John Stuart Mill. Der Liberalismus verfolgte lange Zeit nur Fragen der politischen und rechtlichen Gerechtigkeit (gleiche Rechte für alle, eine Verfassung haben, Gewaltenteilung, Rechtsstaatsprinzipien). Dabei bezog sich bis ins 19. Jahrhundert diese Freiheit scheinbar nur auf europäische, weiße, erwachsene Männer. Ausbeutung, Entrechtlichung von Frauen und armen Menschen wurden hingenommen. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts rückten soziale Fragen zunehmend in das philosophische Bewusstsein. Wieviel Ungleichheit verträgt eine freiheitliche, liberale Gesellschaft? Wieviel ist legitim und gerechtfertigt? In der Theorie der Gerechtigkeit sollten Leistungsprinzipien verknüpft werden mit Sozialstaatsprinzipien und den Schwächsten der Gesellschaft ein Existenzminimum ermöglichen. Maßgebend für diese Sichtweise der politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts war John Rawls.
Ach ja, was ist nun Neoliberalismus, der „neue Liberalismus“?
Dabei geht es um wirtschaftsliberale Ideen, um eine freiheitliche, marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung und Wettbewerb. Der Neoliberalismus hat nicht mehr viel mit dem klassischen Liberalismus zu tun und u.a. für große Ungerechtigkeiten gesorgt. Auch heute noch erklären Neoliberalisten die soziale Frage für irrelevant. Viele Probleme werden auf ein persönliches Scheitern zurückgeführt. Bildung, Güter und Gesundheit werden eher als private Angelegenheiten erklärt.
Der größte Erfolg des Liberalismus?
Der freiheitlich-demokratische und sozialer Rechtsstaat. Das Liberale als Geisteshaltung, als Tugend ist eine schon fast verloren gegangene Begriffsdefinition. Doch der Erfolg des Liberalismus ist nichts weniger als unsere freiheitliche Demokratie, die Grundlage für das Zusammenleben in der BRD ist. Ich verweise auf den Artikel 2 des Grundgesetzes.